Ich danke den Menschen, die mir in den letzten beiden Tagen zugehört haben. Es tut gut, wenn man in gewissen Situationen nicht alleine ist.
Meiner Mutter geht es wieder gut und sie darf auch heute schon nach Hause.
Und ich veröffentliche diese Geschichte von Ephraim Kishon, die ich gerade aus einem seiner Bücher abgetippt habe.
Ich wünsche gute Unterhaltung, beim durchlesen.
Traktat über die Nächstenliebe
von Ephraim Kishon
Es gab Zeiten, da wurde ich noch gefragt, wie es mir geht. Ich pflegte mit gewinnenden Lächeln zu antworten: Danke, es geht mir ausgezeichnet, mein neues Buch verkauft sich wie warme Semmeln, mein Golfspiel wird von mal zu mal besser, und gestern hab ich beim Rennen 50 Shekel gewonnen. Aber statt mich daraufhin zu lieben, reagieren die Leute mit einem brummigen Soso, und ich sollte endlich aufhören, wie ein Besessener hinter dem Geld herzujagen.
Mit anderen Worten: Sie wollen nichts mit mir zu tun haben. Besonders in letzter Zeit. Genauer: in den letzten 30 Jahren.
Schön sag ich mir, wenn ich schon keine Freunde gewinnen kann, will ich wenigstens Bekannte gewinnen, ein paar belanglose Gesprächspartner für ein nichts sagendes Geplauder.
„Ich darf mich wirklich nicht beklagen“, beginne ich den unverbindlichen Gedankenaustausch. „Gestern habe ich mein Opernlibretto fertig gestellt, und nächste Woche fliege ich mit meiner Familie nach Tahiti“.
„Übertreiben Sie’s nicht“ antworten die Belanglosen eisig. „Auch sie werden nicht jünger“.
Dann verschwinden sie und weichen mir von Stund an in weitem Bogen aus. Kein Mensch will etwas von mir wissen. Ich bin einsam und verlassen wie Israel in der Volksversammlung der UNO. Manchmal hab ich mich schon selbst gefragt: „Ephraim altes Haus, wie geht es dir?“ – nur um mir vorzuspiegeln, dass sich jemand für mich interessiert.
So lagen die Dinge als ich mir die große Zehe eingeklemmte.
Ich war vom Supermark nach Hause gekommen, hatte beide Arme voll mit Flaschen und Konservenbüchsen, konnte die Haustüre nicht öffnen und versetzte ihr einen Tritt. Sie gab mir den Tritt sofort zurück und verwandelte meine große Zehe in eine bläuliche, breiige Masse.
In diesem Augenblick erschien mein Nachbar Felix Seelig, der seit zwei Jahren kein Wort mit mir gesprochen hatte.
„Was ist passiert, um Himmels willen?“ fragte er teilnahmsvoll.
Ich deutete schmerzverzehrt auf meinen Fuß.
Felix schleppte mich in meine Wohnung, bettete mich auf die Couch und mixte mir einen Drink und blieb, bis meine Frau nach Hause kam.
Das gab mir zu denken.
Als ich eine Woche später wieder gehen konnte, traf ich auf dem Postamt Frau Blum, die ich sofort nach meiner Zehe erkundigte.
Ich machte eine wegwerfende Gebärde:
„Ach was die Zehe… Viel schlimmer ist dieses schreckliche Stechen in der Hüfte“.
Frau Blum begleitete mich nach Hause.
„Sie müssen einen Arzt konsultieren“, empfahl sie mir unter Anzeichen größter Besorgnis. „Wahrscheinlich haben sie Gallensteine. Ts ts ts, sehr unangenehm, was ihnen bevorsteht. Sehr, sehr unangenehm.“
Und sie rief täglich an, um zu erfahren, wann ich operiert werde.
Allmählich begannen die Menschen mir wieder Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ich wartete ihre Erkundigungen nach meinem Befinden gar nicht ab:
„Es ist die Hölle“ erzählte ich ungefragt. „Diese Gallensteine bringen mich um den Verstand. Ich kann keine Zeile mehr schreiben. Morgen muss ich zum Röntgen.“
Ich gewann immer mehr Freunde. Aus purer Neugier sah ich in den einschlägigen Ratgebern nach – nirgends fand ich Gallensteine erwähnt. Lauter Stümper.
Um meine neugewonnenen Freunde nicht zu enttäuschen und weitere anzulocken, schmückte ich meine Leidensgeschichte mit zusätzlichen Katastrophen aus. Besonderen Anklang fand die Mitteilung, dass ich wegen der Gallenstein-Operation meinen Film nicht drehen konnte.
Die beste Ehefrau von allen weigerte sich, für die Massen der täglich erscheinenden Freunde, die mir ihre guten Wünsche überbrachten, Kaffee zu kochen.
Mein Glaube an die Menschheit kehrte zurück. In den wenigen Stunden des Alleinseins begann ich mit der Niederschrift eines Buches. „Wie beklage ich mich erfolgreich?“ Und ich untermauerte meinen Erfolg durch rastlose Erfindung von Schicksalsschlägen. Ich litt an Schmerzen an Rücken und im Becken, an Kreislaufstörungen und Steuerschulden, mein neues Stück war in Timbuktu durchgefallen, ich stand vor dem Ruin, und als mir gar nichts mehr einfiel, setzte ich das Gerücht in Umlauf, dass meine Frau mit dem Basketballspieler Micky Berkowitz durchgegangen sei.
Ich war beliebt wie nie zu vor.
Eine der Erfahrungen, die ich in dieser Zeit machen durfte, nenn ich „Das Sandwiches-Syndrom“: Man kann zwischen zwei Unglücksfällen eine dünne Schicht von Glück einlegen. Das fiel mir auf, als ich zwischen einem Brand in unserer Küche und einer Blinddarmreizung mit einem Literaturpreis ausgezeichnet wurde, ohne dass man mich deshalb in Acht und Bann getan hätte.
Es war zu schön um dauerhaft zu sein.
Eines Tages – die Schreibmaschine zittert unter meinen Fingern, während ich es zu Papier bringe – verspürte ich einen stechenden Schmerz im Unterleib. Der Doktor kam und diagnostizierte Gallensteine. Ich wandte mich vorsorglich an die beste Ehefrau von allen:
„Liebling, vielleicht solltest du dir bei unsern Nachbarn ein paar Sitzgelegenheiten ausborgen. Es werden sehr viele Besucher zum Kaffee kommen“.
Niemand kam. Kein einziger meiner neugewonnenen Freunde zeigte sich. Wer vom Schicksal wirklich heimgesucht wird, hat keine Anteilnahme zu erwarten. Die Menschen bevorzugen erzähltes Unglück. Wahres Unglück schreckt sie ab.
Eigenartig, nicht wahr?
Samstag, 19. Jänner 2008
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14 Kommentare:
Mh, in jeder Geschichte steckt eine Wahrheit. Es kommt nur drauf an den Code zu knacken und die Wahrheit zwischen den Zeilen lesen zu können oder ... zu wollen.
Vielen lieben Dank für deine Geschichte, ich hab sie mit schmunzeln gelesen.
Einen schönen Samstag dir wünsch,
Herr Schaf winkt dir zu, wir haben grad Hühnerleber verspachtelt und
verziehen uns nach deiner Gute Nacht Geschichte zu einem Mittagsmützl.
Könnte die Wahrheit nicht die sein, daß es fast schon ein Verbrechen ist, wenn es einem gut geht, wenns der ganzen Welt so schlecht geht?
Ist es immer und überall legitim, sich am Leid des anderen hochzuziehen?
Jetzt bist aber ein Alpenseppl du.
Ich glaub fest dran, das wir Menschen GEMEINSAM ein Stück Himmel auf Erden haben können.
DAS ES UNS ALLEN GUT GEHT.
Jetzt schau ich aber wild
hörst
siehst das
krawuzikapuzi
nur in den Schoß
fällt das nit
auch wenns da ist
immer und überall
also
...
und trotzdem hab ich diese Beobachtung schon gemacht....
hallo und guten tag meine liebe!
schön dass es deiner mutter
wieder besser geht und dir
wahrscheinlich auch.
ja, eine wunderschöne geschichte.
kishon bringt es immer wieder
auf den punkt, hab dank dafür.
es ist immer so bei den menschleins,
erst wenn uns das schicksal
eines anderen berührt,
erkennen wir wie gut es uns
eigentlich selber geht.
ich wünsche dir und euch
einen ganz wunderbaren
sonntag
Warum berührt es Menschen kaum bis gar nicht, wenns einem gut geht?
Ich denke es liegt hier wie so oft an der Selbstverständlichkeit.
Wenn du gesund bist, der Körper "funktioniet", hinterfragst du es nicht. Aber wehe, wenn ein Aua da ist.
Und so wirds auch mit der guten Laune sein, jeder wünscht es sich und anderen und die wenigsten interessiert es.
Ich erzähl jemanden, daß ich bei der Fußpflege war und bekomm zu hören: hat das dein Kreuz ausgehalten.
Es ist ein Trauerspiel, wenn Menschen nur in einer Negativschleife drinnen hängen und sich an nichts und niemanden mehr erfreuen können.
Ich danke Dir für Deine Sonntagswünsche, ich hab mich sehr gefreut und wünsche Dir ebenfalls einen geruhsamen Sonntag, der ganz nach Deinem Geschmack sein soll.
lach...ja, gut gehen.
das wird immer vorausgesetzt.
mußt mal ausprobieren wenn dich wer fragt, wie es dir geht und du sagst SCHLECHT.
...ist ein sehr aufschlussreicher test
über das reagieren von menschen
auf eine nicht erwartete antwort ; )
alles liebe dir
Den Test hab ich schon gemacht, auch wenns kein Test war, sondern es mir wirklich nicht gut ging.
Auswertung:
Die Menschen hören nicht zu.
Es kommen dann so Aussagen wie: na was glaubst wie es mir erst geht...
So sind wir Menschen, Egozentriker, ich nicht ausgenommen, ich les auch gerne mein Horoskop ;-)
auch Dir alles Liebe
Sie sind weder gut noch böse und leben ohne Schmach und ohne Ehre. Die Welt spricht nicht von ihnen, dem Recht und Mitleid sind sie gleich verhasst. Zu Laster oder Tugend fehlt ihnen die Energie. Sie entschließen sich weder für noch gegen etwas. Sie weigern sich nämlich, ein Gut zu wählen aus Angst, ein anderes dadurch zu versäumen.
Ihre Sinne sind blind, ihre Moral ist stumpf. Was immer geschieht, es kümmert sie wenig. Dies sind die Lauen und Unentschlossenen im Lande, die Menschen ohne Leidenschaft, die Gleichgültigen.....
Man trifft die Gleichgültigkeit, wo die Routine vorherrscht und Sie vermehren sich ständig......
danke dir für den schönen satz brixerl.
...gleichgültigkeit wo routine...
und umgekehrt...
tja steinchen so läufts im leben...leider...
wach auf oder muss ich mal rütteln?
lach, mir brauchst nicht sagen
wies leben läuft... ich schätze
da könnte ich dich noch wachrütteln.
Was findet denn hier für eine Rüttelei in meinem Blog statt?
Ich bin schon ganz konfus vor lauter hin und her. Wer kann denn da noch in Ruhe lesen.
brülll...
ist die katze aus dem haus
machen die mäuse party
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